top of page
AutorenbildMelanie

Wie kann die Positive Psychologie bei Autismus helfen?



Die Positive Psychologie wurde in den 90'er Jahren durch den amerikanischen Psychologen Martin Seligman begründet. Seligman empfand die Psychologie als zu defizitär. Sowohl die Diagnostik als auch die Therapie fokussieren sich auf die Identifikation und im Anschluss auf die Beseitigung der Probleme, des unerwünschten Verhaltens. Nicht aber auf Stärken oder bereits funktionierendes Verhalten bzw. den Menschen als Ganzes.


Kurz zu den Begriffen

Pathogenese = krankheits-/ symptomorientiertes Krankheitsmodell

Salutogenese = auf die Gesundheit gerichtetes Krankheitsmodell


Warum ist das so?

Die Medizin und damit auch die Psychologie beruhen auf einem Modell, welches im zweiten Weltkrieg entstanden ist. Damals mussten die Soldaten möglichst schnell wieder kampffähig sein und Symptome / Probleme wurden notdürftig behandelt. Gebrochene Beine wurden kurzfristig versorgt, Traumata mit Elektroschocks behandelt,... alles, nur um schnell wieder eine Kriegstauglichkeit zu erschaffen. So ist das pathogene Krankheitsmodell entstanden, welches - trotz der Weiterentwicklung und neuer Erkenntnisse - noch bis heute die Grundlage bildet.


Auch das Manual für die Diagnostik von Krankheiten und Störungen, das ICD 10 bzw. ICD 11 basiert auf dem Finden von Defiziten / Problemen / krankhaften Veränderungen des Körpers, der Seele und des Geistes. Für die Erkenntnis über viele Krankheiten war dieser Ansatz das definitiv hilfreich und vielen Menschen konnte so geholfen werden.


Bei psychischen Problemen oder Menschen, die neurodivers sind, ist das dieser Ansatz allerdings nicht unbedingt ausreichend!


Ein aktuelles Beispiel:

Wenn eine Person mit einer Depression zum Psychologen geht, erhält sie einen Fragebogen, der die typischen Symptome abfragt. Antriebslosigkeit, Traurigkeit, Suizidgedanken, Appetit,...etc. Man erhält einen Wert, der anzeigt, ob man schon depressiv ist oder nicht. Manchmal wird anhand dieser Symptome auch im Gespräch die Diagnose erstellt - ohne Fragebogen. In der Verhaltenstherapie werden dann konkrete Tools erarbeitet und gelehrt, die die Symptome milder werden lassen sollen.


Oft hängt es sehr vom Therapeuten ab, wie sehr er / sie den Menschen als Ganzes sieht. Allerdings basieren die meisten psychotherapeutischen Ansätze auf eben jenem pathogenen medizinischen Ansatz.


Die Positive Psychologie geht dagegen der Frage nach, was zu mehr Wohlbefinden und Gesundheit führt. Sie ist die Wissenschaft des gelingenden Lebens und betrachtet damit auch bereits funktionierende Verhaltensweisen oder Lebensbereiche.


Wo ist nun der Unterschied?

Im Gegensatz zum pathogenen Ansatz hat die Positive Psychologie einen salutogenetischen Ansatz. Der pathogene Ansatz geht der Frage nach

  • "Was funktioniert hier falsch und wie kann man es richten?",

  • währende der salutogenetische Ansatz Folgendes fragt: "Was brauche es, damit man sich optimal gesund fühlt und wie kann ich es bekommen?"

Es sind letztlich zwei Seiten einer Medaille.


Folgende Faktoren umfasst Wohlbefinden nach Seligman:

  • P = Positive Emotionen

  • E = Engagement

  • R = Relationships = Beziehungen

  • M = Meaning = Sinn

  • A = Accomplishment = Leistung und Ziele

Beispiel:

Bei der Depression würde die Positive Psychologie die Bereiche Engagement oder Sinn näher anschauen. Vielleicht noch Sinn.


Es geht nicht darum, die Symptome, wie Antrieblosigkeit, Traurigkeit etc. zu beseitigen, sondern zu schauen, wie man z.B. den Antrieb wiederherstellen kann.


Positive Psychologie und Autismus

Da die Diagnostik und die Therapie bei Autismus ebenfalls defizitär orientiert sind, kann eine Diagnose sowohl bei den Betroffenen und den Angehörigen zunächst ein Schock sein.


Defizitär meint, dass der Fokus auf die Schwächen gerichtet ist: Probleme bei der Interaktion und Kommunikation, Reizfilterschwäche usw.


Meist kommt mit der Diagnose auch die Ansicht, dass das "normale" Leben vorbei ist. Im Kindesalter sind es meist die Eltern, die das glauben. Wenn die Diagnose im Erwachsenenalter kommt, kann es für die Betroffenen zunächst eine Erleichterung sein ("Endlich weiß ich, was mit mir los ist!").


Mit der Empfehlung des Schwerbehindertenausweis und so mancher Erkenntnis, wie stark man doch eigentlich mit dem Zurechtkommen im Leben kämpft, weicht die Erleichterung mit der Zeit ebenfalls der Ansicht, dass man als AutistIn kein gutes Leben führen kann.


Und genau das ist das Problem: ständig wird Autisten gezeigt, was sie alles nicht können! Wo ihre Probleme sind! Und was es alles zu beseitigen gilt.


Natürlich müssen viele Autisten ihr Leben anpassen, sobald eine Diagnose vorliegt. Das heißt aber nur, dass sie ihr Leben an ihre Bedürfnisse anpassen. Und nichts anderes:

  • Weniger Stunden im Job arbeiten

  • Lernen besser zu kommunizieren

  • Lernen weniger zu Maskieren

  • Über sich selbst mehr zu lernen

  • Auf ihre Routinen bestehen


Hier kann die Positive Psychologie helfen: Autisten benötigen mehr Bestärkung in ihrem Sein. Auch sie haben Stärken, auch sie brauchen einen Sinn im Leben und auch sie brauchen bedeutsame Beziehungen (wenn auch weniger). Schauen wir uns die PERMA Theorie von Seligman einmal näher an:

  • Positive Emotionen = Was verschafft mir positive Emotionen?

  • Engagement = Wo / In welchem Bereich fällt es mir leicht viel Energie reinzustecken?

  • Relations / Beziehungen = Mit welchen Menschen kann ich wann und wieviel Zeit verbringen?

  • Meaning / Sinn = Welche Bereiche / Tätigkeiten verschaffen mir ein Gefühl von Sinnhaftigkeit (Spezialinteresse)?

  • Accomplishment / Ziele = Was sind meine Ziele (beruflich, privat) und wie kann ich sie erreichen?

Beispiele: Positive Emotionen bei Autisten

  • Stimming

  • Funktionierende Routinen

  • Spezialinteresse nachgehen

  • Texturen anfassen

  • typisch autistischer Humor

Beispiele: Engagement bei Autisten

  • Tätigkeiten im Hyperfokus

  • Spezialinteresse

  • Computerspiele

  • recherchieren

  • Dinge ordnen

  • Ehrenamt

  • Musik und Kunst

  • Programmieren

Beispiel: Beziehungen bei Autisten

  • Den Partner immer dienstags von 16:00 bis 21:00 Uhr treffen

Beispiel: Sinn bei Autisten

  • Job / Ehrenamt

  • eigenen Blog schreiben

  • Einen Kuchen für den Partner / spezielle Personen immer Sonntags backen

  • Spezialinteresse

Beispiel: Ziele bei Autisten

  • Eine Lösung für ein Problem im Job / Ehrenamt zu finden

  • Bei dem Computerspiel das nächste Level zu erreichen

  • Ein Telefonat zu meistern

  • Kommunikationstraining zu meistern

  • Die eigene Wohnung

Das übergeordnete Ziel ist immer das Wohlbefinden zu halten oder zu steigern und maximale Lebensfreude zu erhalten. Die Bereiche hängen auch oft stark miteinander zusammen und bedingen sich.













149 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page